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Letztlich ist Vertrauen eine Frage von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, von kleinen und großen Dingen, von Teilen, die sich zu einem Ganzen zusammenfügen. Bei der Entscheidung, ob wir jemandem trauen oder nicht, kommt unser Urteil oft aus dem Bauch und gründet sich selten auf der reinen Beweislage.
Herzog Leto Atreides
Carthag, die Stadt des Wüstenplaneten mit der zweitgrößten Bevölkerung, war vom Planetologen Pardot Kynes als »Geschwür auf der Haut des Planeten« bezeichnet worden. Die ehemalige Harkonnen-Hauptstadt hatte eine Bevölkerung von über zwei Millionen Menschen, obgleich solche Zahlen nur Schätzungen darstellten, da viele von denen, die in der Stadt lebten und arbeiteten, den Volkszählungsbeauftragten aus dem Weg gingen.
Lady Jessica hatte ihre eigenen Gründe, Carthag nicht zu mögen. Selbst nach so vielen Jahren hing noch immer der Harkonnen-Gestank über der Stadt. Dennoch hatte sie diesem Geheimtreffen zugestimmt. Außerdem hatte sie gute Neuigkeiten, und Bronso würde froh sein zu hören, dass Tessia sich nun unter einem Decknamen an Bord eines Gildenschiffs befand. Inzwischen war sie bereits auf dem Weg nach Caladan und hatte den Namen von jemandem auf der Heimatwelt der Atreides erhalten, der ihr dabei helfen würde, sich unter falscher Identität ein neues Leben aufzubauen. Tessia war eine starke Frau, die offensichtlich Schäden und Narben von den durchlittenen Tragödien zurückbehalten, aber auch Heilung erfahren hatte. Sie würde neu lernen müssen, wie man ein normales Leben führte, aber Caladan war genau der richtige Ort für sie, um mit den entsprechenden Bemühungen zu beginnen.
Bei ihren geheimen Besprechungen draußen in der Wüste hatte Bronso Zeit und Ort für dieses Treffen festgelegt. Doch in der Zwischenzeit waren Duncan und Gurney mit ihren vermeintlich großartigen Neuigkeiten zurückgekehrt, dass die Raumgilde nun umfassend gegen die Wayku-Stewards durchgegriffen hatte. Jessica musste einfach darauf vertrauen, dass Gurney sein Bestes tat, um das Unvermeidliche hinauszuzögern.
Nachdem Bronso seine Wayku-Verbündeten verloren hatte, verfügte er über keine zuverlässige Methode mehr, sein Material zu verbreiten, aber seine Ideen ließen sich nicht zum Schweigen bringen. Im Laufe der Jahre hatten seine ständigen Infragestellungen und Herausforderungen des Mythos um Muad'dib ein eigenes Bewegungsmoment gewonnen. Andere Kritiker hatten sich seinen Bemühungen angeschlossen, weitere Fragen aufgeworfen und mehr Daten über die zahlreichen Gräueltaten zusammengetragen. Viele waren vorsichtig, doch andere gingen weniger furchtsam vor. Sie hatten angefangen, ihre eigenen Analysen zu schreiben, in denen sie die Irrtümer und die mangelnde Objektivität in Irulans Berichten angriffen, insbesondere in denen, die nach Pauls Tod erschienen waren. Die Würfel waren gefallen ...
Zur verabredeten Zeit am Spätnachmittag fuhr die unauffällig gekleidete Jessica in einem kleinen, klapprigen Taxi durch eins der städtischen Elendsviertel. Mit den schmalen, engen und zerfallenen Straßen war Carthag inzwischen sogar noch heruntergekommener als zu Zeiten des Sieges über die Harkonnens.
Ihre Kapuze war weit vorgezogen, um ihr Gesicht zu verbergen, und sie hatte ihre Nasenstopfen entfernt, um mit wachen Sinnen unterwegs zu sein. Mit ihrem Geruchssinn durchsuchte sie die Aromen der alten Stadt und nahm ihre Umgebung in sich auf.
Viele der fleckigen, kastenförmigen Gebäude – es handelte sich um architektonisch einfach gestaltete Fertigbauten, die man für die Gewürzarbeiter der Harkonnens und die dazugehörigen Begleitindustrien errichtet hatte – waren wie kranke Organismen gewachsen und willkürlich mit unregelmäßigen Metall- und Plazplatten ausgebessert worden. Schmutzige Kinder spielten zwischen Schrott und Ungeziefer.
Der Taxifahrer brachte mit einem Schnaufen entweder seinen Unglauben oder seine Missbilligung zum Ausdruck und hielt an. »Ihr Ziel, Madam.« Während der Fahrt hatte der Mann sie im Rückspiegel betrachtet und versucht, durch die Fassade ihrer abgenutzten Kleidung und ihres brauchbaren, aber ausgebleichten Destillanzugs zu blicken, als ahnte er, dass Jessica eine wichtigere Person war, als sie zu sein vorgab. »Passen Sie hier gut auf sich auf. Soll ich bei Ihnen bleiben? Ich kann Sie begleiten, egal, wohin Sie müssen – ohne Aufpreis.«
»Das ist sehr großzügig und galant von Ihnen, aber ich kann auf mich selbst aufpassen.« Ihr Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass dem so war. Sie gab ihm ein großzügiges Trinkgeld.
Jessica schaute auf und sah ein sechsstöckiges Gebäude, das wahrscheinlich vom Gewicht des Verfalls umgerissen worden wäre, wenn die benachbarten Häuser es nicht gestützt hätten. Sie trat auf das gesprungene Pflaster und ging los, wobei sie die schattenhaften Gestalten in den Hauseingängen, die sie beobachteten, scheinbar ignorierte, sich ihrer jedoch in Wirklichkeit ausgesprochen bewusst war.
Bronsos Anweisungen zufolge musste sie durch ein Tor aus Metallverbundstoff in einer Seitenstraße treten. Als sie es aufdrückte, erklang ein Quietschen, das wie ein leiser panischer Schrei klang. Sie stieg die Plazbeton-Treppe dahinter in ein oberes Stockwerk empor und bog nach rechts in einen dunklen Flur ab. Die Gerüche schlecht abgedichteter Körperrückgewinnung schwappten noch durch den beengten Raum. Die Fremen glaubten, dass üble Gerüche schlechte Omen waren. Zumindest ließ dieser spezielle Geruch auf nachlässige Wasserdisziplin schließen.
Bevor sie an eine zerkratzte Tür klopfen konnte, öffnete sie sich, und Bronso zog sie hastig ins Innere. Schnell schloss er die Tür hinter ihr.
Kurz vor Sonnenuntergang stieg Duncan Idaho aus einem Bodenfahrzeug am Ende der Straße, in der sich das Zielgebäude in Carthag befand. Gurney folgte ihm dichtauf. Uniformierte Männer und Frauen kamen von ihren Spähposten, bewegten sich von Straße zu Straße und schlossen um die beiden Männer herum die Reihen. Gurney hatte darauf bestanden, an dieser Operation teilzunehmen, und der Ghola schien keinerlei Verdacht zu hegen, dass sie beide absolut entgegengesetzte Ziele verfolgten.
Obwohl er die Wahrheit kannte, fühlte sich Gurney, als befände er sich mitten in einem großen Coriolissturm von Ereignissen, und er wusste nicht, wie er die Situation retten sollte. Duncan und seine Truppen näherten sich ihrer Beute.
Der Peilsender an Bronsos Thopter hatte ihnen seinen genauen Aufenthaltsort verraten. Schon seit drei Tagen hatte man die nähere Umgebung seines Unterschlupfs unter sorgfältige militärische Überwachung gestellt. Wenige Augenblicke zuvor hatten die versteckten Beobachter eine verhüllte Mitverschwörerin hineineilen sehen, die sich offenbar mit ihm treffen wollte, und Duncan stand kurz davor, die Falle zuschnappen zu lassen.
Zwar waren die Gesichtszüge der Besucherin größtenteils verborgen geblieben, doch Gurney empfang großes Unbehagen, weil er mit Sicherheit zu wissen glaubte, wer die Frau war, während Duncan keinerlei Verdacht zu hegen schien. Alias Soldaten, die darauf aus waren, Bronso gefangen zu nehmen, würden drinnen ausschwärmen, und die Falle würde gleichzeitig um Lady Jessica und den Ixianer zuschnappen. Gurneys Kiefer mahlten, er ballte die Hände zu Fäusten und suchte verzweifelt nach einer Lösung, aber ihm fiel keine Möglichkeit ein, sie zu retten. Wenn Jessicas Zusammenarbeit mit Bronso ans Licht kam, wäre damit nicht nur alles vereitelt, was sie – und Paul – hatten erreichen wollen, sondern auch ihr würde zweifellos die Todesstrafe drohen. Alia würde nicht zögern, die Hinrichtung ihrer eigenen Mutter anzuordnen.
Gurneys größte Sorge galt Jessicas Sicherheit. Wenn er die Wahl hatte, sie oder den Ixianer zu retten, stand für ihn fest, dass sie ihm wichtiger war als alles andere. Wie kann ich Sie vor dieser Gefahr beschützen, Mylady?
Duncans Leute waren an Ort und Stelle und in Bereitschaft.
Als ersten Schritt der Aktion betraten die beiden Männer ein heruntergekommenes Haus gegenüber dem Zielgebäude. Sie wurden von einem drahtigen Militäroffizier in sandfarbener Tarnuniform begrüßt, der sich als Levenbrech Orik vorstellte. Mit sichtlicher Aufregung über den bevorstehenden Höhepunkt der langen Jagd führte Orik Gurney und Duncan an gespannt wartenden Soldaten vorbei zur zerfallenden Treppe. Im sechsten Stock durchquerten sie einen mit Müll übersäten Korridor und erreichten ein offenes Zimmer mit schmalem Balkon. Schwarzes Abtasterlicht hüllte den Bereich ein, um zu verhindern, dass man sie von draußen sah.
Von dort zeigte der Levenbrech zum verhangenen Fenster eines Gebäudes auf der anderen Seite der schmalen Straße. »Bronso Vernius' Schlupfloch befindet sich zwei Geschosse unterhalb des Dachs dieses Gebäudes. Der Thopter, dessen Spur wir verfolgt haben, steht auf dem Dach und ist durch irgendeine ixianische Tarntechnik verborgen.« In Oriks Stimme schwang hämische Wut mit. »Unsere Ingenieure haben bereits eine Riley-Rampe angebracht, damit wir hinübergelangen können, sobald wir zum Angriff bereit sind.«
Gurney spähte in die tiefer werdenden Schatten der Abenddämmerung, doch er sah nur Gerümpel auf dem gegenüberliegenden Flachdach. »Werden sie uns nicht kommen sehen?«
»Wir sind auf dem ganzen Weg von Abtasterlicht geschützt, und wir haben Schallunterdrückungssysteme, obwohl Geräusche schwerer zu tarnen sind. Ixianische Technologie gegen ixianische Technologie. Er ist nur ein einziger Mann und kann nicht mit unseren Ressourcen mithalten.«
Gurney war sich bewusst, dass die Ixianische Konföderation Alia mit vielen neuen Geräten versorgt hatte, die neuartige Technologien verwendeten, damit sie den Flüchtling leichter schnappen konnte. Offenbar wollten die Ixianer Bronso ebenso sehr aufhalten wie Alia.
»Bevor wir zuschlagen, sollten wir jedes Zimmer da drüben durchsuchen«, sagte Gurney, »um die Unschuldigen rauszubringen, falls es zu Gewalttätigkeiten kommt.« Und um Bronso mehr Zeit zu geben.
»Wir handeln sofort.« Duncan blickte geschäftsmäßig auf sein Armbandchrono. »Ziehen wir das Netz zu. Bronso ist uns schon zu oft entwischt.«
Bronso brachte auf einem Silbertablett Gewürzkaffee für sich und Jessica und reichte ihr eine dampfende Tasse. Er hatte lange auf dieses Treffen gewartet. »Nachdem meine Mutter nicht mehr auf Wallach IX festgehalten wird, habe ich angefangen, meine Rolle neu zu überdenken, Lady Jessica. Die letzten sieben Jahre lang habe ich genau das getan, worum Paul mich gebeten hat. Ich habe es getan, weil er mich von der Notwendigkeit überzeugt hat, den Ruf eines großen Mannes, meines Freundes, anzuzweifeln. Ich habe meine Saat gepflanzt, und wir werden sehen, ob sie im fruchtbaren Boden der Zeit wächst.«
Er blickte auf seine Hände und dann zu Jessica. »Aber jetzt hat die Raumgilde mein Vertriebsnetzwerk zerschlagen. Dank Duncan Idaho und Gurney Halleck hat man meine Wayku-Freunde festgenommen und meine Schriften vernichtet.« Er stockte und schüttelte den Kopf. »Ach, ich schaudere bei dem Gedanken an die Gefahr, der ich meine Verbündeten ausgesetzt habe. Meine Freunde.«
Jessica sah seinen Schmerz und verspürte eine ähnliche Trauer in ihrem eigenen Herzen. »Als Paul dir diese Aufgabe übertragen hat, konnte er nicht vorhersehen, dass deine Arbeit so viele Jahre später immer noch notwendig sein würde. Er ist fort, Bronso.«
»Ist meine Arbeit damit beendet?« Die Stimme des Ixianers nahm einen flehenden Tonfall an. »Muss ich weiter kritisieren, oder darf ich jetzt aufhören? Wie viel ist genug? Paul hat gesagt, dass er kein Gott sein wollte, kein Messias ... aber wie kann ich ihm alles nehmen? Zinnoberrote Hölle, von seinem edlen Erbe sollte doch etwas übrig bleiben! Er war trotz allem ein großer Mann!«
Jessica fühlte sich hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, dass man ihren Sohn verehren und lieben sollte, und der Notwendigkeit, den Schaden zu verhindern, den das Gedenken an ihn und sein Martyrium anrichten konnte, wenn es unbefleckt blieb. »Glaubst du, dass ich diese Fragen beantworten kann? Ach Bronso! Versuch dir vorzustellen, wie sehr es mir als seiner Mutter wehtun muss!« Plötzlich wurde ihr klar, worum er sie bat. »Du möchtest meinen Segen dafür, dass du aufhörst, nicht wahr?«
»Mein Herz, mein Kopf und meine Seele sind erschöpft. Ich habe alles gesagt, was ich sagen musste. Ich glaube, ich habe die Aufgabe erfüllt, die Paul mir gestellt hat. Je mehr Regentin Alia versucht, meine Schriften zu unterdrücken, desto mehr Glaubwürdigkeit verleiht sie meinen Aussagen. Soll ich denn immer und immer wieder das Gleiche sagen? Die von mir gesäten Zweifel werden gedeihen – mit oder ohne mich.« Er blickte auf seine Gewürzkaffeetasse, von der er noch keinen einzigen Schluck genommen hatte. »Bitte sagen Sie mir, dass es reicht, Mylady. Sagen Sie mir, dass ich endlich Ruhe finden und zusammen mit meiner Mutter ein neues Leben beginnen kann. Habe ich erreicht, was Paul wollte?«
»Natürlich.« Ihre Stimme versagte für einen Moment. »Du hast bereits alles getan, was Paul von dir verlangt hat – sogar noch viel mehr. Du hast einen Damm gegen die Fluten des Djihads errichtet, der den Strom der Geschichte in eine andere Richtung lenkt. Jetzt können wir nur noch abwarten, wie erfolgreich du warst.« Sie spürte, wie sich in ihr große Erleichterung ausbreitete. Ja, sie konnte ihn freilassen. »Du hast dich uns für lange Zeit entzogen, als du und Paul noch Kinder waren. Stiehl dich davon, verlasse den Wüstenplaneten und finde einen sicheren Ort auf einer der äußeren Welten, damit ich dir eines Tages deine Mutter hinterherschicken kann.«
Seine Augen glänzten hell von glitzernden Tränen. »Ich sorge stets dafür, eine Möglichkeit zu haben, innerhalb weniger Sekunden zu entkommen. Mein Thopter steht getarnt auf dem Dach, und für den Fall, dass dieser Weg blockiert ist, habe ich einen ixianischen Hochgeschwindigkeitslift installiert, der unter die Erde und in ein Netzwerk von Tunneln führt, die die Harkonnen angelegt haben. Ich habe gelernt, für meine Sicherheit zu sorgen.«
»Stets einen Fluchtweg zu haben ist nicht das Gleiche, wie in Sicherheit zu sein.« Jessica war unfähig, ihr Unbehagen abzuschütteln. »Ich fühle mich hier nicht sicher.«
Bronso bedachte sie mit einem erschöpften Lächeln. »Das ist durchaus verständlich. Schließlich sind Sie immer noch eine Atreides, und in dieser Stadt gehen Harkonnen-Geister um.«
Mit einem Gefühl der Beklommenheit hörte Gurney Stimmen über eine Kommunikationsverbindung, als das Kommando weitergegeben wurde. Er berührte seinen Ohrhörer. »Sie sagen, dass es nur Bronso und eine weitere potenzielle Verschwörerin sind. Vielleicht sollten nur wir zwei das machen, Duncan. Wir sollten selber reingehen.«
Wenn er mit Duncan allein war, würde die Loyalität des Gholas es ihnen vielleicht ermöglichen, wenigstens Jessica zu retten.
Der andere Mann schüttelte entschieden den Kopf. »Wir werden ihn nicht unterschätzen. Levenbrech, sperren Sie die umliegenden Straßen ab, umstellen Sie das Gebäude und bewachen Sie jeden möglichen Ausweg. Behalten Sie den Thopter auf dem Dach im Auge, damit er ihn nicht zur Flucht nutzen kann.«
Orik war begierig darauf, seinen Bericht abzugeben. »Unsere Ingenieure haben die Treibstoffzufuhr gekappt und die Düsen sabotiert. Er kann uns nicht davonfliegen.« Mit einem Handzeichen führte der grinsende Levenbrech sie auf den Balkon hinaus und über die Riley-Rampe, die starr und fest blieb, obwohl die Männer mit schweren Schritten hinübermarschierten.
Gurney, der immer verzweifelter wurde, sagte: »Vielleicht sollte ich zuerst reingehen und versuchen, ihn zum Aufgeben zu bewegen. Bronso wird sich an uns erinnern. Mit gefällt die Möglichkeit nicht, dass es Verluste geben könnte ...«
Duncan zog eine finstere Miene. »Das wäre ein dummes Risiko. Nein, wir gehen mit allem rein, was wir haben. Die Zeit für halbe Sachen ist vorbei.«
Der Kommandotrupp signalisierte Bereitschaft, und Gurney hatte einen Kloß im Hals. Er berührte das lange Messer in der Scheide an seiner Hüfte. Mit aktivierten Körperschilden bedeutete Duncan ihnen vorzurücken, und das Netz zog sich zu.
Mit geschärften Sinnen und einer Paranoia, die in den vielen Jahren des Lebens auf der Flucht verfeinert worden war, bemerkte Bronso den Angriff als Erster. Eine Veränderung der Luft, eine Abfolge schwacher, unpassender Geräusche. Er fluchte und blickte aus einem Fenster, sah jedoch nichts. Trotzdem stimmte etwas nicht. »Zum Thopter auf dem Dach – man hat uns aufgespürt!«
Jessica hielt ihn zurück. »Sie werden Thopter zur Verfolgung dabeihaben.«
Bronso bedachte sie mit einem verschlagenen Grinsen. »Meiner hat ixianische Modifikationen.«
Der Lärm schwerer Stiefeltritte auf dem Korridor wurde lauter, und Jessica wurde klar, dass sie keine Zeit für weitere Diskussionen hatten.
Als die Soldaten durch die Tür zu Bronsos Schlupfwinkel stürmten, blieb Gurney dicht hinter Duncan. Beide Männer hatten ihre langen Messer gezogen, aber Gurney war bereit, sich vor Jessica zu werfen, um sie davor zu bewahren, von übereifrigen Soldaten verletzt zu werden. Er musste sie um jeden Preis von hier fortschaffen ... und konnte nur hoffen, dass er einen Weg fand.
Er reagierte auf eine huschende Bewegung und sah am anderen Ende des Zimmers eine verborgene Tür, die sich in diesem Moment schloss. Bevor Gurney rufen konnte, dass Bronso nicht da war, bevor er auch nur hoffen konnte, dass kein anderer sie bemerkt hatte, brüllte Levenbrech Orik: »Sie entkommen!«
Duncan schlug die Tür am anderen Ende des Zimmers ein. Man konnte Schritte hören, die die Treppe hinaufeilten. »Aufs Dach!«, rief er. »Schickt mehr Männer aufs Dach!«
Gurney drängte ihn ab und übernahm die Führung. Er rannte den Gang hinauf, in der Hoffnung, ein oder zwei zusätzliche Sekunden zu gewinnen. Auf einem Schutthaufen im Treppenhaus stolperte er mit Absicht und hielt so die Männer hinter ihm auf, um dann mit übertriebener Vorsicht weiterzugehen.
Gurney trat im trügerischen Licht der zunehmenden Dämmerung aufs Dach und machte zwei schattenhafte Gestalten aus, die auf den leicht schimmernden Tarnschild zuliefen, unter dem ein Ornithopter verborgen war. Er musste davon ausgehen, dass eine der beiden Jessica war. Nach einer kurzen hitzigen Diskussion trennten sich die beiden, und die Frau rannte zu einer weiteren Tür am anderen Ende des Dachs. Gut ... sie sind nicht mehr zusammen. Wenn Jessica weit genug entkam, konnte sie vielleicht alles abstreiten.
Gurney wusste, was er zu tun hatte. Die Verluste begrenzen. Sich auf das Hauptziel konzentrieren. Er musste Jessica nur ein bisschen mehr Zeit geben. »Bronso ist unser Ziel! Ihm nach!« Es war eine Schlacht wie so viele andere auch, und Jessica war ihm wichtiger, selbst angesichts des Opfers, das der Ixianer gebracht hatte. »Duncan, ich übernehme die andere Person. Los!«
Wie ein Schatten tauchte Bronso unter den Tarnschild und verschwand in einem kurzen Wabern von Farben und Dunkelheit. Gurney hörte, wie eine metallene Thopter-Luke aufgerissen wurde, ein Sitz quietschte und Kontrollen aktiviert wurden.
Mit einem schnellen Sprint schoss Duncan auf das verborgene Fluggerät zu, während das Geräusch von Triebwerken erklang, die sich knirschend und ächzend festfraßen. Die Tarnung flackerte verwirrend, als der Ghola den Chamäleon-Stoff beiseitezog, ins Cockpit nach der Gestalt an den Armaturen griff und den Mann auf das harte, sandige Dach herunterriss. Bronso war kein Kämpfer, und der Schwertmeister überwältigte ihn mit Leichtigkeit.
Als sie Bronso stürzen sah, wich die verhüllte Frau Gurney aus und lief tollkühn zum Thopter zurück. Sie warf sich mit ihren eigenen Kampffähigkeiten ins Gefecht, trat um sich, wirbelte herum, traf Duncan mit mehreren Hieben und zwang ihn dazu, seinen Gefangenen loszulassen.
Der Ghola fuhr herum, um sich seinem unerwarteten Gegner zu stellen, und hob sein Kurzschwert. Gurney konnte nicht einschätzen, wie lange Jessica mit ihren Bene-Gesserit-Kampftechniken gegen einen erfahrenen Schwertmeister von Ginaz bestehen konnte. Sie wich Duncans Stichen aus und trat ihm so fest gegen den Waffenarm, dass er die Schwerthand wechseln musste. Ihre abrupten Bewegungen ließen die Kapuze zurückwehen und gaben den Blick auf ihr Gesicht frei, nicht mehr als ein Aufblitzen von Haut und Augen.
In diesem Augenblick stürzte sich Bronso auf Duncans Beine und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Gurney sprang, um sich zwischen den Ghola und Jessica zu bringen und fauchte dicht an ihrem Ohr: »Mylady! Schlagen Sie mich jetzt – schlagen Sie zu! Dann fliehen Sie.«
Jessica begriff sofort und rammte Gurney einen harten Fußtritt gegen die Brust, der ihn zurücktaumeln ließ. Er wankte und würgte benommen. Während er hustete und so tat, als würde er sie verfolgen, schlüpfte sie durch den Dachzugang und tauchte in ein anderes Treppenhaus ab.
Levenbrech Orik und seine Männer brüllten sich gegenseitig an und schwärmten auf dem Dach aus. Duncan packte Bronso und hielt ihn fest. Seltsamerweise lachte der Ixianer, und eine Andeutung von Erleichterung schwang in seiner Heiterkeit mit. Duncan schubste den Mann grob in die Arme zweier wartender Soldaten. »Nehmen Sie ihn. Vollständige Shigadraht-Fesselung und Handschellen. Wenn er entkommt, werden Sie Ihr Versagen persönlich vor Alia erklären müssen.«
Als sie die Drohung hörten, legten die Männer Bronso genug Fesseln für ein Dutzend Sardaukar-Kämpfer an. Nachdem sie den angeschlagenen Bronso abgeführt hatten, wandte der Ghola Gurney den Rücken zu und rief nach dem Offizier. »Levenbrech, gehen Sie mit Ihren Männern das andere Treppenhaus hinunter – und schnappen Sie den zweiten Verschwörer! Gurney Halleck und ich sichern das Dach. Wir haben alles unter Kontrolle.« Der Metallblick des Gholas war undeutbar, doch sein Gesicht zeigte unverkennbaren Zorn.
Als die Soldaten eilig ihre Befehle befolgten und die zweite Fluchttreppe hinunterrannten, fand sich Gurney allein mit Duncan auf dem Dach wieder. Der Ghola starrte ihn finster an und sprach mit leiser Stimme. »Du hast sie entkommen lassen.«
Gurney atmete übertrieben schwer und schüttelte den Kopf. »Bei den Göttern der Unterwelt, Duncan, sie hat mich überrascht.«
Der Ghola musterte ihn kalt, aktivierte seinen Körperschild und nahm eine kampfbereite Haltung ein. »Ich habe dir immer vertraut, Gurney Halleck, aber vielleicht ist das nicht mehr der Fall. Das war Lady Jessica. Du hast sie entkommen lassen, und ich werde erfahren, warum.« Duncan Idahos flaches Gesicht war vor Anspannung verzerrt. Er hob sein Kurzschwert. »Du hast einiges zu erklären.«
Gurney konnte es nicht abstreiten, und er versuchte es gar nicht erst. Stattdessen aktivierte er seinen eigenen Schild, trat einen halben Schritt zurück und machte sich zum Kampf bereit.